„Wir bauen doch für die Kinder“

Brutalismus ist der Name eines Architekturstils des 20. Jahrhunderts. Ein typisches Beispiel dafür ist die Aula der Realschule Vilsbiburg – gebaut in den Jahren 1967 bis 1969. Gewaltige grobe Strukturen, geometrische Formen und vor allem: ganz viel massiver Beton. So „brutal“ wie die Formensprache der alten Aula sind für die Schulgemeinde mittlerweile aber auch die Bedingungen, mit denen sie Tag für Tag in dem Gebäude zurechtkommen müssen. Deshalb laufen die Planungen für einen Neubau jetzt auf Hochtouren.

Warum an einem Neubau der Realschule VIB kein Weg vorbeiführt

Mehr als 1.040 Schüler werden mittlerweile an der größten Realschule Niederbayerns unterrichtet. Seit der Gründung der Realschule haben sich die Schülerzahlen verdoppelt. Tendenz weiter steigend. „Die Prognose ist, dass wir in naher Zukunft bis zu 1.200 Schülerinnen und Schüler hier unterrichten werden“, sagt der Direktor der Realschule Vilsbiburg, Marco Schönauer. Der Grund dafür sind die hohen Zuzugszahlen in den Landkreis Landshut, die in den nächsten Jahren laut der bayerischen Staatsregierung weiter zunehmen werden. Der Landkreis Landshut zählt zu den Boomregionen Bayerns und auch Deutschlands.

Für die Realschule Vilsbiburg ist das ein Problem. Denn ein hoher Zuzug bedeutet mehr Familien – und damit mehr Schüler. Dabei ist die größte Realschule Niederbayerns schon vor Jahren an ihre Kapazitätsgrenze gestoßen. Seit dem Jahr 2010 dienen Stahlcontainer als zusätzliche Klassenzimmer. „Die Aula ist eigentlich nur für 600 Schüler ausgelegt – eine Erweiterung ist schlicht nicht möglich“, sagt Schönauer. Dazu kommt: Aus baulicher Sicht entspricht das Gebäude aus den 1960er Jahren schon lange nicht mehr den Anforderungen an einen zukunftsweisenden Schulbetrieb.

Architektur für die didaktische Mottenkiste

Als die Schule gebaut wurde, war der Frontalunterricht üblich. Ein Konzept aus der didaktischen „Mottenkiste“. Moderne Unterrichtskonzepte umzusetzen ist laut dem Realschuldirektor allein schon aus baulicher Sicht nicht möglich. Dazu kommt: Die Klassenzimmer liegen im ganzen Schulgebäude verteilt.

„Heutzutage ist es üblich, Schule vom Klassenzimmer, also von innen nach außen zu denken und nicht umgekehrt“, sagt Schönauer. Doch ein Lernhauskonzept oder offene Lernsysteme umzusetzen und Synergieeffekte zu nutzen, zum Beispiel bei den Räumen für Physik, Biologie oder Chemieunterricht, ist in dem Altbau mit seinen verschachtelten Strukturen schlicht nicht möglich.

Brutal – vor allem für Schüler mit Handicap

Von Barrierefreiheit ganz zu schweigen. Allein die Aula, das Kernstück des Brutalismus und Herzstück des verwinkelten Betonbaus, hat 21 Ebenen. Einst war das modern, zweckmäßig war das noch nie. Es macht Inklusion an der Schule Vilsbiburg unmöglich. Barrierefreiheit herzustellen ist aber nicht nur aus Kostengründen schwierig. Rampen, um einzelne Ebenen für Rollstühle passierbar zu machen, wären in dem Gebäude schlicht zu steil und für Rollstuhlfahrer zu gefährlich. Genügend Raum für längere Rampen mit weniger Neigung gibt es nicht. Ein Aufzug ist zwar vorhanden, aber nur im Fachbereichsgebäude und der erschließt längst nicht alle Ebenen der Aula.

Die Aula ist ein typisches Beispiel für den „Brutalismus“. Eine Umfrage bei Schülern der Abschlussklassen zeigte: Die Kinder fühlen sich hier nicht wohl. Foto: Landkreis Landshut

Was das für Probleme nach sich zieht, zeigt ein aktueller Vorfall kurz vor den Herbstferien. Ein Schüler hatte sich das Bein gebrochen und saß deshalb zeitweise im Rollstuhl. Weil die Schule mit ihren 21 Ebenen nicht barrierefrei ist, war an einen normalen Unterricht nicht zu denken. Im Rollstuhl konnte der Schüler seine Klassenräume nicht erreichen. „Wir mussten den Unterricht zu ihm bringen“, erzählt Schönauer. Und was ist mit Kindern, die permanent auf einen Rollstuhl angewiesen sind? „Die können wir hier nicht unterrichten“, so der Direktor.

Dazu kommt, dass ein Neubau längst überfällig ist. An vielen Ecken und Enden bröckelt der Beton, es versagt nach und nach die Haustechnik, die sich noch im Urzustand befindet – weil aufgrund des Baustils Instandhaltungsmaßnahmen nur sehr eingeschränkt möglich sind. So musste zum Beispiel vor einiger Zeit der Pausenhof aufgebaggert werden, weil die Heizungsleitung durchgerostet war. Ein Problem von vielen, das jederzeit wieder auftreten kann.

Kein Vorschlag für effiziente Sanierung

„Als Landkreis tragen wir die Verantwortung für die bestmöglichen Unterrichtsbedingungen unserer Schüler – und natürlich auch für einen sorgfältigen Umgang mit Steuergeldern. Deshalb gibt es für den Realschulstandort Vilsbiburg aus wirtschaftlicher und nachhaltiger Sicht nur eine tragfähige Lösung für die Zukunft: Das ist ein kompletter Neubau. Vor allem, da uns bislang von keinem Architekturbüro im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung ein verbindlicher Lösungsvorschlag gemacht wurde, wie wir den Altbau erhalten, sanieren und zukunftsfähig zum Preis eines Neubaus gestalten können. Eine solche Lösung gibt es nicht. Auch nicht von denjenigen, die das Gebäude als erhaltenswertes Zeitdokument ansehen“, sagt Landrat Peter Dreier. Ein zukunftsfähiger Neubau der Schule für 1.200 Schüler und 100 Lehrer wird voraussichtlich 89 Millionen Euro kosten.

Die Zeit drängt

Und die Zeit drängt. Die aktuelle Situation ist eigentlich für einen modernen Schulbetrieb schon jetzt untragbar. „Wir brauchen deshalb jetzt – so schnell wie möglich – eine Lösung, die zu finanzieren und vor dem Steuerzahler zur rechtfertigen ist. Es geht hier schließlich um die schulische Ausbildung und die Zukunft unserer Kinder im Landkreis Landshut.“ Diese Lösung will der Landkreis jetzt mit einem kompletten Neubau angehen.

„Die Aula ist einfach nur scheußlich“ Für Marco Schönauer ist der Abriss der Aula nicht weiter tragisch. Mehr noch: Es gibt wohl niemanden in der Schulfamilie, der dem Betonbunker aus dem Brutalismus eine Träne nachweint. „Wir bauen doch für unsere Kinder. Sie sollen sich in ihrer Schule wohlfühlen“, sagt Schönauer. Und glaubt man einer Umfrage unter den Schülern der Abschlussklassen, dann ist die alte Aule nicht nur zu klein, sondern auch alles andere als ein Wohlfühlort: „Die Schüler fanden die Aula einfach nur scheußlich.“

Die Realschule Vilsbiburg ist in die Jahre gekommen und viel zu klein für die Schülerzahlen. Deshalb soll jetzt gebaut werden. Foto: Landkreis Landshut
Die Aula, die eine Gruppe von Architekten um jeden Preis erhalten will, hat 21 Ebenen, ist nicht barrierefrei – und sehr düster. Foto: Landkreis Landshut
Weil der Platz nicht ausreicht, gehören Metallcontainer seit Jahren zum Schulalltag. Foto: Landkreis Landshut
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