Die Telefonate sind kurz. Meist dauern sie nicht länger als eine Minute. Doch es sind 60 Sekunden, die Leben retten können. Praktisch jeder Feuerwehr- oder Rettungsdiensteinsatz beginnt mit einem Anruf bei der „112“. Wer in den Landkreisen Landshut, Kelheim, Dingolfing-Landau oder der Stadt Landshut diese Nummer wählt, landet in einer der modernsten Integrierten Rettungsleitstellen (ILS) Bayerns. Diese befindet in Essenbach im Landkreis Landshut und hat im Oktober 2022 in einem hochmodernen Neubau offiziell den Betrieb aufgenommen. Pro Jahr werden hier rund 100.000 Notrufe angenommen, Rettungsmaßnahmen eingeleitet und koordiniert. Rund 14,7 Millionen Euro hat der „Zweckverband für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung“ (ZRF) dafür investiert.
Der Landkreis hat eine der modernsten Rettungsleitstellen Bayerns
Es ist fast schon gespenstisch ruhig in dem großen Raum im ersten Stock des zweigeschossigen Gebäudes in der Josef-Neumeier-Allee in Essenbach. Ab und zu klingelt leise ein Telefon. Die Stimmen der Mitarbeiter an den Tischen mit den sechs Monitoren sind kaum zu hören. Schallabsorber an den Wänden schlucken in der Einsatzzentrale der integrierten Rettungsleitstelle jedes überflüssige Geräusch. Das ist wichtig, weil im Ernstfall jede Information, jedes Wort zählt – und die Disponenten volle Konzentration brauchen. „Bei Notfällen sind wir der Dreh- und Angelpunkt. Wir entscheiden, welche Einsatzkräfte alarmiert werden “, sagt Armin Haindl. Seit 33 Jahren hilft er dabei, Leben zu retten. Erst als Krankenpfleger und Sanitäter. Später als Disponent in der Rettungsleitstelle Landshut. Jetzt ist er der Geschäftsführer der nagelneuen „ILS“ in Essenbach – der derzeit modernsten in Bayern.
Hier landen alle Notrufe
ILS – das steht für „Integrierte Leitstelle“ und bedeutet nichts anderes, als dass hier alle Notrufe für Feuerwehr und Rettungsdienste im Zuständigkeitsbereich angenommen werden. Was sich so einfach und ein bisschen nach Callcenter anhört, ist eine komplexe Aufgabe, mit einem gewaltigen organisatorischen und technischen Aufwand verbunden – und vor allem mit viel Verantwortung. Die Männer und Frauen an den Arbeitsplätzen mit den sechs Monitoren retten Tag für Tag Leben.
Armin Haindl: „Viele unserer Anrufer sind sich dessen gar nicht bewusst. Für sie beginnt der eigentliche Einsatz mit den ersten Einsatzfahrzeugen, die vor Ort mit Blaulicht auftauchen.“ Dabei beginnt er schon in dem Moment, wenn das ILS-Team einen Notruf entgegennimmt und eine genau getaktete Rettungskette in Gang setzt. Dann schaltet die futuristisch anmutende LED-Leiste über den Arbeitsplätzen der Disponenten von Grün auf Rot. So wie jetzt – und ab jetzt zählt jede Sekunde.
Im Landkreis Kelheim hat es ein Unglück gegeben. Schnell wird klar, dass es sich um einen größeren Einsatz handelt, für die zusätzlich zu Feuerwehr und Sanitäter auch die Wasserrettung gebraucht wird. Es gibt jede Menge zu koordinieren, damit die Kräfte schnell und genau dort sind, wo sie gebraucht werden. Zeit, das ist jetzt der entscheidende Faktor.
Weil ein Unglück selten allein kommt und die ILS auch für weitere Notrufe erreichbar sein muss, reagiert der Schichtleiter. Ein weiterer Mitarbeiter wird alarmiert, der sich zusätzlich zu den sechs diensthabenden Disponenten in Arbeitsbereitschaft befindet. In wenigen Augenblicken eilt der von den modern ausgestatteten Ruheräumen im Erdgeschoss in die durch Sicherheitsschleusen gesicherten Leitstelle. Er setzt sein Headset auf und nimmt an einem der Tische mit den insgesamt sechs Monitoren Platz und ist sofort mittendrin im Geschehen.
Alle Informationen, um einen Einsatz koordinieren zu können, hat er hier auf einen Blick: Karten und Satellitenbilder vom Einsatzort zum Beispiel, alle verfügbaren Einsatzkräfte sowie Eingabemasken für die Einsatzplanung. Sogar die Verfügbarkeit und den Aufenthaltsort aller Rettungshubschrauber kann er prüfen.
Bis der Feuerwehrkommandant vor Ort übernimmt, legt der ILS-Disponent fest, welche Einsatzkräfte – zum Beispiel Löschfahrzeuge, Wasserrettung, technische Unterstützung – losgeschickt werden und wo genau sie sich sammeln sollen. „Bei einem Brand in einem Wohngebiet mit engen Zufahrtsstraßen kann es sonst schnell eng werden. Die Einsatzfahrzeuge dürfen sich selbst nicht blockieren. Das ist wichtig“, sagt Haindl.
Um richtig reagieren und organisieren zu können, um ein Verständnis für die Abläufe und Erfordernisse eines Rettungseinsatzes zu haben, müssen alle Disponenten eine Ausbildung im Rettungsdienst oder bei der Feuerwehr absolviert haben. Zusätzlich werden sie in verschiedenen Modulen fit für die herausfordernde Arbeit in der ILS gemacht. Wichtige Grundvoraussetzung: ein stabiles Nervenkostüm, um selbst in brenzligen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren. Und die kommen in dem riesigen Zuständigkeitsgebiet oft täglich vor. Zuständig ist das Team aus 33 hauptamtlichen und 20 geringfügig Beschäftigten für ein riesiges Gebiet mit insgesamt rund 500.000 Einwohnern. Pro Jahr arbeiten die Retter von der ILS 100.000 Notrufe ab und führen bis zu 210.000 Gespräche.
Gut gerüstet für alle Herausforderungen
„Dafür haben wir insgesamt neun Einsatzleitplätze und für besondere Lagen zehn zusätzliche Ausnahmeabfrageplätze, die wir auch für die Ausbildung nutzen“, erklärt Haindl. „Wir haben auch die räumlichen Kapazitäten, um weitere Einsatzleitplätze einzurichten.“ Damit ist die neue ILS, die täglich rund um die Uhr besetzt sein muss, für alle Lagen und die künftige Entwicklung gut aufgestellt. „Wir leben hier schließlich in der Region Bayerns, für die in den nächsten Jahren eine der höchsten Bevölkerungszuwächse prognostiziert wird“, sagt Haindl. Immer mehr Menschen bedeuten auch immer mehr Notfälle. Dazu kommen immer mehr Einsätze wegen außergewöhnlich heftiger Unwetter durch den Klimawandel.
Notlage im Jahr 2016 gab Anstoß für die neue ILS
Ein solch außergewöhnliches Wetterszenario gab übrigens auch den Anstoß für den Neubau der ILS. Als im Jahr 2016 die Gemeinde Essenbach von einem verheerenden Unwetter heimgesucht wurde, „hatten wir 1.000 Notrufe innerhalb von einer Stunde. Die Anrufer waren bis zu 30 Minuten in der Warteschleife“, erzählt Haindl. Die alte Einsatzzentrale, die sich in den Räumen der Landshuter Hauptfeuerwache auf einer Fläche von 600 Quadratmetern befunden hatte, war für so eine Herausforderung nicht mehr gerüstet. 2017 beschloss der ZRF deshalb, sich mit einer größeren und hochmodernen ILS für die Zukunft zu wappnen. Der Standort Essenbach in direkter Nachbarschaft zum Neubau des Landratsamtes wurde gewählt, weil er zentral im Landkreis liegt und für alle ILS-Mitarbeiter gut zu erreichen ist. 2020 begannen die Bauarbeiten. Dank der Vollholz-Ständerbauweise war das Gebäude in nur 18 Monaten bezugsfertig. Nach der Installation der hochmodernen digitalen Technik nahm die neue ILS Ende Oktober 2022 den Betrieb auf.
Bereit für alle Herausforderungen
Apropos Technik: Die neue ILS ist so konstruiert und abgesichert, dass sie selbst bei schlimmsten Notlagen noch einsatzfähig ist. Moderne Akkus sichern die Stromversorgung für vier Stunden. „Außerdem haben wir ein dieselbetriebenes Notstromaggregat, das zusätzlich sofort anspringt“, so Haindl. Übertrieben ist diese Vorsicht sicher nicht. Die ILS ist der zentrale Punkt, um den sich im Rettungsnetzwerk in der Region von Kelheim bis Landau an der Isar alles dreht. Oder anders ausgedrückt: „Ohne uns kommt in Notfällen kein Rettungswagen und kein Löschfahrzeug, um zu helfen“, so Haindl.
Zahlen und Fakten zum ILS-Neubau
- 2 Etagen
- 1.800 Quadratmeter Fläche
- 9 Einsatzleitplätze
- 10 Ausnahmeabrufeplätze
- 14,7 Millionen Investitionsvolumen
- Bau in Holzständerbauweise
- 4 Stunden Notstromversorgung mit Batterien
- 1 Notstromaggregat
- 33 hauptamtliche Mitarbeiter
- 20 geringfügig Beschäftigte (Unterstützungsgruppe)
- 3-Schicht-Betrieb
- 24/7 Erreichbarkeit
- 100.000 Notrufe pro Jahr
- Zuständig für die Landkreise Landshut, Kelheim, Dingolfing-Landau und die Stadt Landshut
- Zuständig für 463.000 Einwohner