So schaut ein Niederbayer aus

Hinterskirchen. Karohemd, Krachlederne, Wadelstrümpf‘ und Haferlschuh für den Burschen. Ein fesches und knallbuntes Dirndl mit Schürze für das „Deandl“. Fertig ist das Trachten-Outfit für den Dult-Besuch, den Ausflug zum Gäubodenfest oder zur Wiesn. Was gemeinhin als typisch bayerisch traditionell angesehen wird, ist allerdings bestenfalls eine volkstümliche Modeerscheinung und hat mit echten historischen niederbayerischen Gewändern nicht viel zu tun. Was die Menschen früher zu besonderen Anlässen im Landkreis Landshut getragen haben, das wissen die Trachtenvereine in der Region. Eines vorneweg – für den klassischen Bierzeltabstecher eigenen sich diese traditionellen Trachten eher nicht. Die historischen Gewänder sind dazu viel zu kostbar und werden nur zu ganz besonderen Ereignissen getragen. Zum Beispiel beim Oktoberfestzug in München.

So zeigen sich Trachtler aus dem Landkreis Landshut beim Oktoberfest

Sebastian Obermeier hat eine kurze Krachlederne und ein gestreiftes Hemd an. „Das ist mein Alltagsgewand“, sagt er. Damit geht er auf die Dult und sieht aus, wie sich Menschen jenseits des Weißwurst-Äquators einen gestandenen Bayern vorstellen. „Die Krachlederne, die ich heute anhabe, hat nichts mit der Tracht zu tun, die die Menschen früher bei uns in Hinterskirchen getragen haben. Die kurze Krachlederne ist typisch für die Alpenregion“, erklärt der 63-Jährige. Und Sebastian „Wast“ Obermaier weiß genau, wovon er spricht. Er ist einer derjenigen, die sich im Landkreis Landshut mit Leidenschaft der Brauchtumspflege verschrieben haben – und der Vorsitzende des Volkstrachtenvereins Hinterskirchen.

Die Lederhosen, die im 19. Jahrhundert in Niederbayern von den Bauern getragen wurde, waren eher lang und steckten in schweren Schaftstiefeln oder in Strümpfen. Haferlschuhe hatte vor über 100 Jahren in Hinterskirchen eher keiner an, karierte Hemden sowieso nicht. Die „typisch bayerische“ kurze Lederhose, die heutzutage zu Volksfest-, Dult- und Wiesn-Zeiten landauf landab getragen wird, ist für Wast Obermeier aber kein Widerspruch zu seinem Hobby. Eine volkstümliche Tracht ist eben auch Mode und gehorcht keinen starren Vorschriften. Erlaubt ist auch hier, was gefällt. „Wir in den Trachtenvereinen sehen das eher positiv. So bekommen die jungen Leute mit, dass wir Bayern anders sind.“ Mode und Tracht – das ist ein Weg, seine Identität zum Ausdruck zu bringen.

Wie die reichen Bauern aus Niederbayern ihren Wohlstand zeigten

Dass die ganze Welt die berühmte kurze Krachlederne für das Beinkleid der Bayern schlechthin hält, hat einen anderen Grund: Bekannt gemacht haben die kurze Krachlederne im 19. Jahrhundert die Sommerfrischler aus ganz Deutschland, die sich im Gebirge erholt haben. Dort begegneten sie die den Einheimischen, die kurze Lederhosen trugen, als sie die Gäste vom Bahnhof abholten. „Die dachten sich dann: ,So sieht also ein Bayer aus‘. Dieses Bild haben sie dann mit nach Hause genommen und weiterverbreitet.“ Auch oberbayerische Auswanderer, die Bayern aus wirtschaftlichen Gründen verlassen mussten, trugen das Bild von der kurzen Krachledernen in die Welt hinaus. „Sie nahmen die Lederhose und damit auch ein Stück Heimat mit in die Fremde. Deshalb gibt es sogar in der USA Trachtenvereine“, erzählt Obermeier.

Auswandern aus wirtschaftlichen Gründen, das hatten die Träger der typischen Hinterskirchener Tracht damals eher nicht nötig. „Hier in Niederbayern gab es viele reiche Bauern. Die wollten beim Kirchgang oder Wirtshausbesuch zeige, was sie haben. Sie waren protziger angezogen als die Oberbayern und staffierten auch ihre Frauen entsprechend aus“, erzählt Wast Obermeier. Die Trachten in einer Region, in Niederbayern von Eching bis Straubing, ähnelten sich dabei zwar. Von Ort zu Ort gab es aber verschiedene Abwandlungen und x Varianten. In Hinterskirchen zum Beispiel trugen die Frauen blaue Strümpfe, in einer Ortschaft hatten die Damen dagegen rote Wadlwärmer an. Typisch für die Hinterskirchener Männer-Tracht war damals neben dem Hut, der nur in der Kirche und vor der Obrigkeit abgenommen wurde, vor allem die Stiefel mit den sechseckigen Falten am langen Schaft – und natürlich die Lederhose. Die war allerdings lang und steckte in den Stiefeln. Dass die Hosen aus Leder und nicht aus Stoff waren, hat laut Obermeier einen guten Grund: „Durch die Viehhaltung hatten die Bauern viel Leder. Das war außerdem auch viel strapazierfähiger als feine Stoffhosen.“

Wie das typische Gewand in ihrer Heimatgemeinde vor über 100 Jahren ausgesehen hat, das weiß der Hinterskirchener Trachtenverein ganz genau. „Wir haben auf dem Dachboden eines Bauernhofes ein altes Foto gefunden“, erzählt er. Darauf zu sehen:  eine Abordnung aus dem Ort im Landkreis Landshut zum Münchner Oktoberfestzug in prächtigen Trachtengewänder. Die Männer haben die typischen Falten-Stiefel an, tragen lange Lederhosen und mit schweren Silberknöpfen prächtig geschmückte Janker und Westen. In der Hand haben sie einen „Hagelsteck‘n“ – einen langen Gehstock, an den auch der Brotzeitbeutel befestigt wurde – und prächtige Pfeifen. Die Frauen haben sich mit üppig verzierten Dirndln herausgeputzt, haben lange Röcke, Unterröcke und Schürzen an und tragen ebenfalls reichlich Silberschmuck.

Von Hinterskirchen in die ganze Welt

Von der Stange zu kaufen gibt es diese Kleidung freilich nicht – auch nicht in einem der vielen Trachtengeschäfte, die es überall in ganz Bayern gibt. Maßgefertigt werden die Trachten bei Handwerkern, die sich das alte Wissen der Kleiderherstellung bewahrt haben: So gibt es bundesweit nur noch drei Schuster, die sich darauf verstehen, Schuhe für Trachtenvereine herzustellen, auch die mit Eisen beschlagenen Faltenstiefel der Hinterskirchener. „Alle drei Schuster befinden sich zum Glück in Bayern“, erzählt Obermeier. Eine komplette maßgefertigte Tracht ist deshalb kostspielig und nichts, was man sich mal ebenso anschafft.

Übrigens: Noch heutzutage marschieren die Frauen und Männer aus dem südlichen Landkreis Landshut in dieser Tracht alle zwei Jahre beim Oktoberfestzug mit. „Heuer sind wir am 18. September wieder mit dabei. Das ist schon gute Tradition“, erzählt Wast Obermeier. Als Botschafter Niederbayerns waren sie schon in der ganzen Welt unterwegs. 2015 gratulierten sie Papst Benedikt in Rom zum Geburtstag. Bereits in den 70er Jahren waren die Trachtler aus dem Landkreis in Übersee mit dabei, als die olympische Flamme von Bayern nach Kanada gebracht wurde. Kleider – das war schon immer so – machen eben Leute. Und die Kleider, die früher in Hinterskirchen und den anderen Ortschaften im Landkreis getragen wurde, sind so prächtig, dass sie in der ganzen Welt für Erstaunen sorgen. Den wohlhabenden Bauern aus Niederbayern sei Dank.

Woher kommt eigentlich die Tracht?

Das Wort „Tracht“ stammt aus dem Althochdeutschen und bedeutet eigentlich nichts anders als: „Das, was getragen wird“. Schon immer grenzten sich gesellschaftliche Schichten und Berufsgruppen durch eine bestimmte Kleiderordnung ab, zum Beispiel die Zünfte. Bis ins 19. Jahrhundert galten zudem strenge Kleiderordnungen für die Stände. In Niederbayern waren es vor allem die reichen Bauern, die über ihre Kleidung ihren Wohlstand zur Schau stellen und sich gesellschaftlich abheben wollten. Historische Tracht wie die in Hinterskirchen unterscheidet sich durch ihre geschichtliche Authentizität von der Trachtenmode, zu der die Dirndln und Krachledernen gehören, die heutzutage auf den Volksfesten zu sehen sind – und sich an den historischen Vorbildern orientieren.

Trachtenvereine im Landkreis – und ein Museum

Einen Trachtenverein gibt es im Landkreis Landshut nicht nur in Hinterskirchen, sondern unter anderem auch in VilsheimPauluszellGeisenhausen oder Pfeffenhausen. Einen Besuch wert ist das Trachtenkulturzentrum des Bayerischen Trachtenverbandes.  

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